Ist Spekulation mit Nahrungsmitteln der Grund für den Hunger in dieser Welt? Die August-Ausgabe der kirchlichen Zeitung „reformiert“ hat sich mit dieser Frage befasst.
Der Journalist schreibt, es sei wissenschaftlich umstritten, ob spekulative Termingeschäfte den Hunger auf der Welt fördern oder nicht. Dann zitiert er den Zentralsekretär von Brot für alle, Beat Dietschy:
„Brot für alle ist überzeugt, dass es unverantwortlich wäre abzuwarten, bis ein wissenschaftlicher Konsens besteht. Denn die Auswirkungen von spekulativen Termingeschäften sind evident.“
Ja, was nun? Konsens oder nicht? Entweder die grosse Mehrheit der Wissenschaftler ist sich einig. Das heisst wir wissen, ob spekulative Termingeschäfte die Mägen leeren oder füllen. Oder wir wissen es eben nicht. Wenn wir es nicht wissen, dann kann es auch nicht evident sein, denn sonst wüssten wird es ja.
Dietschy wartet offenbar ungeduldig auf die Antwort der Wissenschaftler. Das kann ich gut verstehen. Wir möchten alle die Frage bei Google eingeben und in 0.23 Sekunden eine Antwort erhalten. Doch Ungeduld macht die Sache nicht klarer.
Ebenfalls vorstellbar wäre, dass Dietschy nicht die Auswirkung der spekulativen Termingeschäfte auf den Mageninhalt der Menschen meint, sondern auf die moralische Dimension anspielt: Mit Nahrungsmitteln spekuliert man nicht, basta! Bei seinem religiösen und aktivistischen Hintergrund wäre das eine plausible Erklärung des augenfälligen Widerspruchs.
Vielleicht möchte uns Dietschy aber auch sagen, Wissenschaft sei für die Beantwortung dieser Frage keine Hilfe. Die Antwort scheint für ihn ja klar zu sein. Die Wissenschaftler sind blind und sehen das Evidente nicht. Ich hoffe nicht, dass Dietschy eine derartige Geringschätzung gegenüber der Wissenschaft hegt.
Ich schlage Dietschy fürs nächste Mal folgendes Zitat vor:
„Brot für alle möchte die Auswirkungen von spekulativen Termingeschäften belegen. Wir sollten sie darum sofort verbieten. Dann werden wir sehen, wie die Zahl der Hungernden rapide sinkt.“
Mir wäre natürlich lieber er würde die Hypothese mit einer randomisierten Studie untersuchen, bei der jedes Land nach einem Zufallsentscheid die spekulativen Termingeschäfte verbietet oder den knallharten Spekulanten freien Lauf lässt… Glauben ist halt doch einfacher als Herausfinden.
Selbstverständlich hat Brot für alle grossen Respekt vor der Wissenschaft; und uns ist sehr bewusst, dass Hunger viele Ursachen hat. Dennoch gibt es für Brot für alle genügend klare Hinweise, dass die spekulativen Geschäfte mit Nahrungsmitteln den Hunger verstärkt haben. Das belegen einerseits neue Studien. Andererseits hat auch die UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO einen Zusammenhang zwischen den extremen Preisschwankungen für Nahrungsmittel und der steigenden Zahl von Hungerleidenden Menschen festgestellt. Die diesbezügliche Diskussion in der Wissenschaft dauert seit Jahren an. Für Brot für alle wäre es unethisch, auf einen Konsens zu warten und nicht zu handeln. Unsere detaillierte Stellungnahme finden Sie unter: http://www.brotfueralle.ch/fileadmin/deutsch/2_Entwicklungpolitik_allgemein/A_Recht_auf_Nahrung/Nahrungsmittelspekulation/Fact_Sheet_def.pdf
Beat Dietschy, Zentralsekretär Brot für alle
Beim Gedanken, dass wenige Menschen mit vollen Mägen an irgendeinem Computer dieser Welt die Nahrungsmittelpreise bestimmen, befällt mich ebenfalls ein mulmiges Gefühl. Wissen, ob Nahrungsmittelspekulation schadet oder nützt, tue ich dennoch nicht. Gegen den Hunger kämpfen sollten wir trotzdem in jedem Fall sofort – nach bestem Wissen.
Wenn aber nicht eine klare Mehrheit der Wissenschaftler, die den Effekt von Nahrungsmittelspekulation studieren, gleicher Meinung sind, könnte der Kampf gegen Nahrungsmittelspekulation auch noch mehr Hunger verursachen. Um das Vorsorgeprinzip richtig anzuwenden, müsste man in diesem Fall bis auf Weiteres den Hunger mit anderen Mitteln bekämpfen. Wie viele Wissenwschaftler welcher Meinung sind, wissen Sie besser als ich.
Der von Ihnen zitierte Hans-Heinrich Bass begeht zumindest im folgenden Abstract den gleichen Denkfehler:
http://www.m.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Mediathek/Hintergrundinfo/Studien/042013
-Bass-Nahrungsmittelspekulation.pdf