Wir kennen die Szene aus Hollywood-Filmen: Der Zeuge im Gerichtssaal hält die Hand auf die Bibel und schwört, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu erzählen, möge ihm Gott helfen! Was für kontinentaleuropäische Ohren lächerlich klingen mag, ist in eine wichtige Lektion auch für Wissenschaftler.
Denn Wissenschaft ist durchaus mit einem Gericht zu vergleichen. Zur Debatte steht eine Hypothese. Zum Beispiel: Ist das HI-Virus der Auslöser von AIDS? Die Wissenschaftler begeben sich in den Zeugenstand und präsentieren ihre Belege in Form von wissenschaftlichen Publikationen: HI-Viren befinden sich in allen AIDS-Patienten. Bei allen unbehandelten mit HI-Viren befallenen Patienten geht die Zahl der weissen Blutkörperchen zurück. Menschen die HIV-infizierte Blutspenden erhielten, sind später an AIDS erkrankt. Andere Zeugen weisen darauf hin, dass in Afrika mit HI-Viren befallene andere Symptome aufweisen als Betroffene in den USA. Zum Schluss muss der Richter oder die Jury entscheiden, ob die Argumente eher für die Schuld von HIV sprechen oder nicht. Ob die Belege für oder gegen die Hypothese sprechen.
Nur die ganze Wahrheit bringt uns wirklich weiter. Foto: US-Regierung
Das kann nur funktionieren, wenn alle Zeugen die Wahrheit erzählen – selbstverständlich. Nur reicht es nicht, ein bisschen von der Wahrheit zu erzählen. Dass die Aussagen keine Unwahrheit enthalten dürfen, ist den meisten noch klar. Was zu viele offenbar nicht verstehen, ist, wie schlimm es ist, einen Teil der Wahrheit verschweigen („Die ganze Wahrheit“).
Ja viele Wissenschaftler scheinen dies noch nicht verstanden zu haben. Sie veröffentlichen viel öfter gelungene, interessante, bestätigende Resultate und lassen den Rest liegen – bekannt als „publication bias„. Sie beschreiben oft nur unzulänglich, wie sie zu ihren Resultaten gekommen sind. Sie zitieren nur die Studien, die mit ihren Resultaten im Einklang sind – „cherry picking“ genannt.
Meistens geschieht dies eher aufgrund von Zeit- und Leistungsdruck und nicht aus bösen Absichten. Wenn es um die Messung von kleinen Elementarteilchen geht, ist dies vielleicht nervenaufreibend. Bei der Bestimmung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen eines Medikaments setzt es aber unnötigerweise Menschenleben aufs Spiel. Ben Goldacre hat dazu wieder einmal eine gute Präsentation gemacht. Wenn ich ihm zuhöre, könnte ich verzweifeln und frage ich mich, warum es noch so viele medizinische Wissenschaftler gibt, die sich gegen eine offene Wissenschaft sträuben.
Der lange Weg zur evidenzbasierten Medizin.
Mit meinem Buch „Wissenschaftlich erwiesen – Gütesiegel oder Etikettenschwindel?“ möchte ich auch ihn bei seiner wichtigen Arbeit unterstützen und für mehr Druck auf Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsvertreter ausüben.