Seit ich den Aufsatz des US-amerikanischen Philosophen Harry Frankfurt „On Bullshit“ (Humbug) gelesen habe, sehe ich den Bullshit überall. Es handelt sich dabei nicht um eine Lüge. Denn, wer richtig lügt, muss die Wahrheit kennen. Ja, ein Lügner respektiert die Wahrheit sogar (auf eine spezielle Art) und kann sie geschickt verstecken. Lügen ist in dem Sinne eine hohe Kunst.
Dem Bullshitter hingegen ist die Wahrheit egal. Möglicherweise stimmen seine Aussagen manchmal sogar. Er ist ausschliesslich darum bemüht, seine Wirkung auf andere zu optimieren. Bullshitten ist vergleichweise einfach. Und ja, Bullshit ist oft unvermeidlich. Wer sich zu einem Thema äussern muss, das ausserhalb seiner Kompetenzen liegt, ist gezwungen Bullshit zu verbreiten. Laut Frankfurt gedeiht Bullshit in Demokratien deshalb besonders gut. Wahlen, Werbung und das Web strotzen nur so vor Bullshit.
Das Problem ist: Wir werden diese Halbwahrheiten kaum mehr los. Sie entsprechen schliesslich dem Bedürfnis des Publikums, das glauben möchte und die Behauptungen fleissig weiterverbreitet. Alberto Brandolini, ein Berater für Software-Entwicklung, formulierte es so: „Die benötigte Energiemenge, um Bullshit zu widerlegen, ist um eine Ordnung grösser als die, um ihn in die Welt zu setzen.“ Das ist selbstverständlich ebenfalls Bullshit. Aber irgendwie klingt es plausibel, nicht?
Die Mistkäfer sind effizienter als wir Menschen – Bullshit!
So hart es auch ist, wir müssen trotzdem gegen den Quatsch in dieser Welt kämpfen. Ich glaube, Wissenschaft ist eines der wirkungsvollsten Antidote gegen Bullshit – selbst wenn die Replikationskrise auf einen hohen Anteil von Bullshit auch in der Wissenschaft deutet. Bei über einer Million wissenschaftlicher Artikel pro Jahr ist das wohl nicht zu vermeiden – und das Wachstum beschleunigt sich jährlich um neun Prozent.
Die Wissenschaftler lernen in ihrer Karriere, wie die Spreu vom Weizen getrennt werden kann. Sie arbeiten an Lösungen für ihre Krise. Wir Bürger müssen auch lernen, den Bullshit zu erkennen – selbst wenn er von Wissenschaftlern verbreitet wird. Wir müssen Belege für Behauptungen verlangen und diese dann tatsächlich prüfen. Dafür muss uns die Wahrheit überhaupt erst kümmern.
Denen, die sich um die Wahrheit kümmern, möchte ich mein Buch empfehlen, das ab heute im Handel erhältlich sein sollte: „Wissenschaftlich erwiesen – Gütesiegel oder Etikettenschwindel?„